Tag 95 / 05.09.12 / Unter neuen Leuten

Ich bin der Letzte der aufsteht und hier haben sich die Leute wieder wirklich bemüht, leise zu sein. Karl-Heinz lädt mich in einer Bar zum Frühstück ein und wir sitzen für einige Zeit zusammen.
Kurz nach dem Aufbruch lerne ich Maike kennen. Mit der Goldschmiedin aus Freiburg gehe ich für die nächsten 8km bis Castroverde, wo wir uns noch für einen gemeinsamen Kaffee in eine Bar setzen. Auch meine immer größer werdende Angst, nach so langer Zeit am Weg in Santiago anzukommen, wird zum Thema.

Ich ziehe wieder voraus und halte die Augen nach einem guten Platz zum Schreiben offen. Doch während den nächsten 18km entlang der Straße, findet sich nichts Passendes. Als der Weg endlich wieder die Straße verlässt, finde ich bald darauf ein idyllisches Plätzchen. Dort komme ich mit einem Bauer ins „Gespräch“. Wenn man sich unterhalten will, geht es immer irgendwie, auch wenn man nicht die gleiche Sprache spricht …

Inzwischen hat mich auch Maike wieder eingeholt und die letzten fünf der heutigen 32km Etappe gehen wir wieder gemeinsam. Dann trennen sich unsere Wege an der historischen Stadtmauer von Lugo.
In der Herberge treffe ich wieder auf Toni und besuche anschließend noch die enorme Kathedrale. Auch ohne meinen Stab werde ich dort sehr bald als Pilger erkannt und bekomme eine private Führung durch das Gebäude.

Zurück in der Herberge plaudere ich noch mit ein paar Leuten. Die faszinierendste Persönlichkeit unter ihnen ist Mary. Denn die Schweizer Pensionistin nimmt sich jedes Jahr 2-3 Monate Zeit um zu pilgern und ist inzwischen schon die meisten Strecken gegangen. Dabei wusste sie bis vor einigen Jahren gar nichts vom Camino. Erst als sie sich ein Haus gekauft hat, welches zufällig direkt am Weg steht, kam sie mit vorbeikommenden Pilgern in Berührung…

Lugo ist einer der Startpunkte an der 100km Grenze zu Santiago. Dementsprechend sind auch viele neue Gesichter zu sehen. Denn nur wer mindestens 100km geht, bekommt auch die Compostela. Ab jetzt wird hier also wesentlich mehr los sein.

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Tag 94 / 04.09.12 / Der längste Tag

Als eine der sechs Wahnsinnigen am frühen Morgen plötzlich das Licht vom Schlafsaal einschaltet, ist es klar. Ich muss weg! Diese Respektlosigkeit ist wirklich unglaublich, also schnappe ich mir nur meinen Rucksack und gehe wutentbrannt los. Dadurch renne ich auch noch blind an einem Wegweiser vorbei, bis der Weg schließlich auf einem Feld endet.

Kurz nach Castro treffe ich bei einer kleinen Kirche ein Pilgerpärchen aus Slowenien, mit denen ich eine kurze Pause mache. Aber ich gehe schnell weiter und nach einem kurzen Aufstieg erreiche ich die Grenze zu Galizien. In der nächsten Bar gönne ich mir einen leckeren Fleischkuchen und einen Kaffee, um die nächsten 12km bis Fonsagrada wieder ohne Pause durch zu ziehen.

Um 13:30 Uhr halte ich nach bereits 26 gegangenen Kilometern meine Mittagspause am Stadtplatz. Die sechs Tourigrinos sind auch schon da (und ganz sicher nicht gegangen), also marschiere ich bald darauf weiter. Noch einen Tag mit diesen Leuten halte ich ganz sicher nicht aus …

Ein Stückchen weiter treffe ich auf einer Wiese plötzlich wieder auf Karl-Heinz, der dort ein Nickerchen hält. Ich bleibe nur kurz stehen und es ist lustig, dass ich ihn immer wieder an den unerwartetsten Plätzen treffe.
Über Wiesen und durch kleine Wälder, komme ich schließlich an einer kleinen Bar vorbei. Der Besitzer hat für heute eigentlich keine Pilger mehr erwartet, aber es gibt noch ganz ausgezeichnete Bocadillos. Karl-Heinz stößt nur wenig später dazu und zum abschließenden Kaffee werden wir noch auf ein paar Gläser hausgebrauten Likör eingeladen.

Der freundliche Wirt der „Casa Mesón“.

Mit 39 Kilometern erledigt und 12 noch vor mir, geht es weiter. Zum Glück führt der Weg heute kaum über Asphalt, denn ansonsten hätte ich das bestimmt nie geschafft.

Der letzte Anstieg ist brutal, aber nach einer schnellen Cola in der nächsten Bar, sind es nur mehr fünf Kilometer bis zur Herberge von Cadavo Baleira.

Inzwischen ist mein Kopf absolut leer. Die Anstrengung ist zu groß und ein meditativer Zustand hat die totale Kontrolle übernommen. Es ist nur mehr ein Schritt nach dem andern, über karges Gelände …
Es ist 20:30 Uhr, als ich während des Sonnenuntergangs endlich bei der Herberge ankomme. Die Dusche ist himmlisch und ich setze mich noch einige Zeit barfuß hinaus, um den heutigen Tag zu reflektieren. Wenn mir irgendwann mal jemand gesagt hätte, dass ich einmal 51 Kilometer an einem Tag gehen werde, hätte ich ihn mit Sicherheit ausgelacht!

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